Die 1838 gegründete Gelehrte Estnische Gesellschaft ist die älteste wissenschaftliche Gesellschaft Estlands, deren Ziel von Anfang an mit der Formel der Förderung der Erforschung der Vergangenheit und Gegenwart der Esten, ihrer Sprache, Literatur und des durch das estnische Volk bewohnten Landes zusammengefasst wurde.
Heute äußert sich die praktische Tätigkeit der GEG in erster Linie sowohl in Organisieren öffentlicher Vorträge und größerer wissenschaftlicher Veranstaltungen als auch in Mitwirkung bei Veröffentlichung von Monographien und Sammelbänden.
Zuletzt sind in die Verhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft das Sammelwerk zum 200. Jahrestag von prof Friedrich Georg von Bunge veröffentlicht (2006).
In die letzten Jahren sind das zum 75. Geburtstag von Sulev Vahtre gewidmete Sammelwerk “Muinasaja loojangust omariikluse läveni” (Vom Ende der Vorzeit bis zur Schwelle der Eigenstaatlichkeit), hrsg. v. A. Andresen, Tartu 2001, und die Monographie von Silvia Laul “Rauaaja kultuuri kujunemine Eesti kaguosas” (Die Herausbildung der eisenzeitlichen Kultur im südöstlichen Teil Estlands), (Muinasaja Teadus 9, ÕESi Kirjad 7) Tallinn 2001, unter ihrer Mitwirkung erschienen.
Demnächst wird das letzte Band der dreibändigen Geschichte Estlands im 18. bis 20. Jh., im Jahr 2010 veröffentlicht.
Laut ihrem Statut besteht die GEG traditionell bei der Universität, und den Kern ihrer Mitgliedschaft bilden die Mitglieder der philosophischen Fakultät. So befindet sich die GEG in den Räumen des Seminars für Estnische Geschichte der Universität Tartu /Lossi 3-421, Tartu 51003/. Jetzige Vorsitzende ist prof. Marju Luts-Sootak.
Seit Januar 2001 ist GEG mit der Akademie der Wissenschaften Estlands assoziert.
ZUR GESCHICHTE
Die Gelehrte Estnische Gesellschaft wurde am 18. Januar 1838 in Tartu (damals Dorpat) gegründet.
Die Stifter waren drei Professoren der Universität (der Juraprofessor Friedrich Georg v. Bunge, der Anatomieprofessor Alexander Friedrich v. Hueck und der Geschichtsprofessor Friedrich Karl Hermann Kruse), der Arzt und Schriftsteller Friedrich Robert Faehlmann und der Lektor für estnische Sprache Dietrich Heinrich Jürgenson, zwei Schullehrer und zwölf lutherische Pfarrer.
Laut dem ein Jahr später bestätigten Statut wurde die Erforschung der Vergangenheit und Gegenwart des estnischen Volkes, seiner Sprache, Literatur und des von ihm bewohnten Landes als die Hauptaufgabe der an der Kaiserlichen Universität Dorpat bestehenden GEG angesehen. Dementsprechend sah man die Veröffentlichung von Verhandlungen der Gesellschaft, das Sammeln kultur-sachlicher und schriftlicher Denkmale der Esten sowie die Gründung eines estnischen Museums vor.
In den ersten Jahren ihrer Tätigkeit widmete sich die GEG vorzugsweise der Volksaufklärung: es wurden mehrere für die Esten vorgesehene Ausgaben veröffentlicht. Daneben erschienen seit 1840 die “Verhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft” (Dorpat/Tartu 1840-1943; Bd. 1(34).
Als die hervorragendste Leistung der ersten Jahrzehnte wurde die 1857-1861 erfolgte Veröffentlichung des von Friedrich Reinhold Kreutzwald verfassten estnischen Nationalepos “Kalevipoeg” mit deutscher Übersetzung betrachtet.
In den 1860-er Jahren kam die erste Periode der Tätigkeit der GEG zu Ende. Die Gründer wurden durch eine neue Generation der Akademiker ersetzt. Anstatt der Volksaufklärung wurde mehr Aufmerksamkeit dem wissenschaftlichen Bereich gewidmet. Insbesondere dank dem Philologieprofessor Leo Meyer während seiner langjährigen Präsidentschaft (1869-1899) wurden hier bedeutende Fortschritte erreicht.
Seit 1861 wurden neben den “Verhandlungen” die “Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen Gesellschaft” (Dorpat/Tartu 1861-1938; Bd. 1(72) herausgegeben; 1863-1869 erschienen 7 Bände der “Schriften der Gelehrten Estnischen Gesellschaft”.
Tauschbeziehungen zu anderen wissenschaftlichen Gesellschaften sowohl in In- als in Ausland ermöglichten es, Forschungsergebnisse der Mitglieder der Gesellschaft in der damaligen wissenschaftlichen Welt zu verbreiten.
Die Gesellschaft vergrößerte sich beständig, so dass die Zahl ihrer Mitglieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 300 überschritt. Neben namhaften deutsch-baltischen Wissenschaftlern (Leo Meyer, Constantin Grewingk, Carl Schirren, Eduard Winkelmann, Richard Hausmann u.a.) schlossen sich immer mehr Esten der Gesellschaft an (Jakob Hurt, Jaan Jung, Mihkel Veske, Karl August Hermann, Martin Lipp, Villem Reiman, Oskar Kallas, Jaan Tõnisson u.a.).
Die gesellschaftspolitischen Verhältnisse des beginnenden 20. Jahrhunderts waren für die Tätigkeit der GEG nicht günstig. Konflikte gab es sowohl innerhalb der Gesellschaft (zwischen den deutschen und den estnischen Mitglieder) als auch zwischen GEG und der Universität. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges brach sich die Tätigkeit der GEG ab.
Neuen Schwung nahm die Tätigkeit der Gesellschaft im Jahre 1919, als sie unter der Leitung des Kurators der nunmehr estnischen Nationaluniversität Tartu Peeter Põld wiedergegründet wurde.
Da sich mit Materialiensammeln jetzt mehrere neue Gesellschaften und Institutionen beschäftigten, wurde das Hauptziel der GEG etwas enger gesehen: die wissenschaftliche Forschungsarbeit und die Veröffentlichung derer Ergebnisse.
Es kamen neue Ausgaben hinzu: “Jahresberischte der estnischen Philologie und Geschichte” (Eesti filoloogia ja ajaloo aastaülevaade, Tartu 1922-1938; Bd. 1(7), “Briefe der Gelehrten Estnischen Gesellschaft” (Õpetatud Eesti Seltsi Kirjad, Tartu 1922-1939; Bd. 1(5), “Sonderabhandlungen” (Eritoimetused, Tartu 1931-1933; Bd. 1(2). In den “Verhandlungen” (Õpetatud Eesti Seltsi Toimetused) erschienen umfangreiche Monographien von Paul Johansen, Harri Moora, Oskar Loorits, Armin Tuulse, Sten Karling u.a.
Unter sowjetischer Okkupation wurde die GEG in der zweiten Hälfte der 1940-er Jahre zuerst der Akademie der Wissenschaften der Estnischer Sowjetischer Sozialistischer Republik unterstellt. Im Juni 1950 wurde die Tätigkeit der GEG durch das Präsidium der Akademie beendet.
Die Wiedergründung der GEG kam 1988 zu Stande. Sie fiel mit dem 150. Jahrestagsfeier der Gesellschaft zusammen, der gerade in die Zeit der Wiederbelebung so vieler in der Sowjetzeit abgeschaffenen Gesellschaften und Traditionen stattfand.
Auf der Gründungsversammlung am 10. Oktober 1988 wurde der sich großenteils auf den Statut der Vorkriegszeit stützende neue Statut der GEG bestätigt und Prof. Dr. Herbert Ligi zum ersten Präsidenten der wiedergegründeten Gesellschaft gewählt.
Zur Zeit hat GEG 112 Mitglieder und 16 Ehrenmitglieder. Seit 2008 ist Heiki Valk der Präsident der GEG.
Mehr zur Geschichte siehe auf Englisch.
Alle Aufsätze, die in den Veröffentlichungen der GEG vor dem Zweiten Weltkrieg erschienen sind, sind in einer Bibliographie zu finden:
Õpetatud Eesti Seltsi perioodiliste ja jätkväljaannete koondregistrid. Tartu 1977.